Stell dir vor, du liest heimlich im Tagebuch eines Igels.
„Heute Nacht: dreißig Meter Asphalt überquert, zwei Gärten durchsucht, eine fast ausgetrocknete Pfütze gefunden. Zwei Mal knapp einem Auto entkommen, einmal einem Mähroboter. Immer noch hungrig. Immer noch auf der Suche nach einem sicheren Platz.“
So – oder so ähnlich – könnte das Leben vieler Igel in unseren Siedlungen aussehen. Zwischen Straßen, Zäunen, Steinwüsten und perfekt getrimmten Rasenflächen wird es für sie immer schwerer, Nahrung, Wasser und Verstecke zu finden. Wenn wir Igeln helfen wollen, müssen wir ihren Alltag verstehen – und unsere Gärten, Höfe und Balkone mit anderen Augen sehen.
In diesem Artikel schauen wir aus Igelsicht auf unsere Welt und zeigen dir, wie moderner Igelschutz ganz praktisch aussehen kann: mit Laubhaufen statt Laubbläser, mit Durchgängen statt Mauern – und mit einer selbst gebauten Igelautobahn, die Gärten wieder miteinander verbindet.
Asphalt, Zäune, Gefahren: Der Alltag eines Igels
Wenn wir schlafen, geht für Igel die Schicht erst los. Sie sind dämmerungs- und nachtaktiv – und legen auf ihrer Suche nach Futter oft mehrere Kilometer pro Nacht zurück.
Auf Futtersuche im Siedlungsdschungel
Aus Igelsicht sieht ein typischer Abend so aus:
- Straßen, Einfahrten und Parkplätze aus Asphalt und Beton
- Gartenzäune ohne Lücken
- Steingärten und Schotterflächen ohne Insekten
- Mähroboter, die lautlos durch die Nacht fahren
Zwischen all dem sucht er nach Schnecken, Insekten, Würmern und Käfern. Wo früher Hecken, Wiesen und Feldränder waren, stehen heute Zäune, Mauern und kurz geschorene Rasenflächen. Der „stachelige Held“ unserer Gärten findet immer weniger Nahrung – und immer mehr Hindernisse.
Unsichtbare Gefahren der modernen Gärten
Viele Dinge, die wir als praktisch empfinden, sind aus Igelsicht lebensgefährlich:
- Autos und Straßen: Jeder nächtliche Straßenüberweg kann der letzte sein.
- Mähroboter: Wenn sie nachts laufen, können sie Igel schwer verletzen.
- Gifte im Garten: Schneckenkorn, Insekten- und Unkrautgifte vernichten Igelfutter oder vergiften Igel direkt.
- Dichte Zäune und Mauern: Sie schneiden Reviere auseinander, Igel kommen nicht mehr zu Nachbargärten mit besserem Futterangebot.
Wenn wir Igeln helfen wollen, beginnt das also genau hier: bei unserem Umgang mit Technik, Ordnungsliebe und Perfektion im Garten.
Igelschutz beginnt im eigenen Garten
Die gute Nachricht: Du brauchst keinen „wilden Naturpark“, um sinnvollen Igelschutz zu betreiben. Schon kleine Veränderungen machen deinen Garten oder Hof zu einem echten Rettungsanker.
Wild statt steril: Struktur und Verstecke schaffen
Igel lieben strukturreiche, leicht „unordentliche“ Gärten:
- Laubhaufen: Im Herbst das Laub nicht komplett entsorgen, sondern an einer ruhigen Ecke als Haufen liegen lassen – perfektes Versteck und Winterquartier.
- Totholz und Äste: Ein kleiner Haufen aus Ästen und Zweigen bietet Schutz und Lebensraum für Insekten – Igel-Buffet inklusive.
- Dichte Hecken: Anstelle von sterilen Sichtschutzzäunen lieber gemischte Hecken pflanzen – sie bieten Deckung, Nahrung und Nistplätze für viele Tiere.
- Unaufgeräumte Ecken: Es muss nicht alles perfekt sein. Ein paar wilde Ecken im Garten sind für Igel Gold wert.
Je weniger „steril“ und „glattgebügelt“ dein Garten ist, desto besser eignet er sich als igelfreundlicher Rückzugsort.
Wasser- und Futterstellen – aber mit Köpfchen
Gerade in trockenen Sommern wird Wasser zur Überlebensfrage:
- Stelle eine flache Schale mit Wasser auf (kein tiefer Eimer!).
- Lege ein paar Steine hinein, damit auch Insekten sicher trinken können.
- Wasser täglich wechseln, damit es sauber bleibt.
Beim Futter gilt: Grundsätzlich findet ein gesunder Igel selbst genug Nahrung. Sinnvoll zufüttern kannst du:
- Bei anhaltender Trockenheit
- Spät im Jahr, wenn junge Igel noch zu leicht sind
- In sehr ausgeräumten Siedlungen
Geeignet sind hochwertiges Nass- oder Trockenfutter für Katzen (ohne Zucker, ohne Soße) oder spezielles Igelfutter – niemals Milch (verursacht Durchfall) und keine gewürzten Essensreste. So kombinierst du Igelschutz mit verantwortungsvoller Fütterung.
Igelautobahn bauen: Freie Fahrt für stachelige Nachbarn
Eine der wirksamsten Maßnahmen, um Igeln zu helfen, ist erstaunlich simpel: Verbindungen schaffen. Denn was nützt der schönste Naturgarten, wenn er wie eine Insel abgeschottet ist?
Warum eine Igelautobahn so wichtig ist
Igel brauchen große Reviere. Ein einzelner Garten ist für sie oft zu klein, um genug Nahrung, Partner und sichere Verstecke zu finden. Wird jede Grundstücksgrenze mit dichtem Zaun oder Mauer abgeriegelt, wird der Weg zur Falle.
Mit einer Igelautobahn machst du aus getrennten Gärten ein vernetztes Gebiet, das Igel sicher nutzen können. Plötzlich sind:
- Mehr Nahrung verfügbar
- Mehr Rückzugsorte erreichbar
- Mehr Chancen auf Fortpflanzung vorhanden
Kurz: Du verwandelst Zäune von Barrieren in „grüne Grenzübergänge“.
Schritt-für-Schritt Igelautobahn bauen
Eine Igelautobahn ist nichts anderes als ein Durchgang im Zaun oder unter der Mauer – aber mit großer Wirkung.
So geht’s:
- Passende Stelle wählen
- An der Grenze zu einem Nachbargarten, der igelfreundlich ist oder es werden soll.
- Möglichst fern von stark befahrenen Straßen.
- An einer ruhigen, eher bewachsenen Ecke.
- Größe planen
- Ideal sind ca. 10–15 cm Höhe und Breite.
- Groß genug für Igel, klein genug, damit keine großen Hunde durchschlüpfen.
- Durchgang schaffen
- Bei Holzzäunen ein entsprechendes Loch sägen.
- Unter Drahtzäunen etwas Boden ausheben, bis ein Tunnel entsteht.
- Bei leichten Mauern lassen sich oft einzelne Steine entfernen oder ein kleiner Durchlass anlegen.
- Kanten sichern
- Scharfe Kanten abschleifen oder mit Leisten sichern.
- Erdreich am Boden leicht ebnen, damit Igel nicht stolpern.
- Nachbarschaft einbeziehen
- Mit Nachbar:innen sprechen, ob auch sie eine Passage möchten.
- So entsteht aus einem Durchgang ein richtiges Netzwerk an Igelwegen.
Wenn du eine Igelautobahn bauen möchtest, kannst du den Durchgang kleiner beschildern („Igelweg“ oder „Igelautobahn“). Das macht neugierig – und animiert andere, mitzumachen.
Igeln helfen – aber richtig: Wann eingreifen und wann nicht?
Es ist gut gemeint, aber nicht jede Begegnung mit einem Igel erfordert sofort „Rettungsaktionen“.
Wann du Igeln besser nicht hilfst
Ein Igel, der:
- nachts unterwegs ist,
- normal groß wirkt,
- flüssig läuft,
- wach und neugierig wirkt,
braucht in der Regel keine Hilfe. Beobachten – ja. Anfassen – nein. Wildtiere sind keine Haustiere, Stress schadet ihnen.
Warnsignale: Jetzt ist Igelschutz dringend nötig
Kritisch wird es, wenn du:
- tagsüber einen herumtorkelnden oder apathischen Igel findest,
- viele Fliegen oder Maden am Tier siehst,
- sehr kleine oder abgemagerte Igel spät im Herbst entdeckst,
- ein verletztes Tier nach Mäharbeiten, Straßenverkehr oder Hundebegegnung findest.
In solchen Fällen:
- Igel mit Handschuhen oder Handtuch vorsichtig in einen Karton setzen (mit Luftlöchern, ausgepolstert).
- Kein Futter aufdrängen, aber lauwarmes Wasser anbieten.
- Möglichst schnell eine Igelstation, Wildtierhilfe oder tierärztliche Praxis kontaktieren und weitere Schritte abklären.
So zeigst du echten Igelschutz, der sich am Wohl des Tieres orientiert – nicht nur an unserem Helfer-Impuls.
Ein naturnaher Garten als Rettungsinsel
Aus Sicht eines Igels liest sich das perfekte Tagebuch in etwa so:
„Heute Nacht: Durch eine freundliche Lücke im Zaun in einen neuen Garten gelangt. Weicher Boden, viele Käfer, Schnecken und Würmer. Kein Gift, kein Mähroboter. Ein Laubhaufen in der Ecke, in dem es nach sicherem Schlafplatz riecht. Eine flache Wasserschale. Vielleicht bleibe ich hier länger.“
Genau das ist das Ziel, wenn wir Igeln helfen wollen: unsere Gärten, Höfe und Balkone so zu gestalten, dass sie nicht nur uns, sondern auch Wildtieren guttun. Eine Mischung aus Rückzug, Futter, Wasser und Durchlässigkeit – statt sterilem Perfektionismus.
Wenn du:
- Laub liegen lässt statt alles wegzufegen,
- eine Igelautobahn bauen lässt oder selbst anlegst,
- auf Gifte verzichtest,
- Wasserstellen anbietest,
dann ist dein Garten viel mehr als ein Stück Grün. Er wird zu einem lebenswichtigen Zwischenstopp in einem gefährlichen, stacheligen Alltag zwischen Asphalt und Abenteuern – und zu einem leisen, aber wirkungsvollen Beitrag zum Igelschutz.